Digitalstrategien für Verlage – 6 Archetypen

Digitalisieren soll sich heutzutage ja quasi alles. Die Frage, die man sich als Verantwortlicher in einem Verlagshaus automatisch stellt, ist daher also weniger das „ob“, sondern das „wie“ der Digitalstrategie für einen Verlag.

Digitalstrategien für Verlage – 6 Archetypen

Welche Digitalstrategien für Verlage gibt es überhaupt, bzw.: Welche Optionen haben Medienunternehmen überhaupt für ein strategisches Umgehen mit der Digitalisierung?

Es lohnt ein Blick auf die (mehr oder weniger „best“) Praktiken, die sich heute bereits in der deutschen Verlagsbranche beobachten lassen. Wohlgemerkt: Nur zwei Drittel aller Medienhäuser verfügten laut einer Bitkom-Befragung im Juni 2016 überhaupt über eine Digitalstrategie.

Betrachtet man die offiziellen wie auch die inoffiziellen Strategien der deutschen Medienhäuser im Umgang mit der Digitalisierung, lassen sich jedenfalls sechs Archetypen voneinander unterscheiden:

  • Die „Paywall“-Strategie
  • Die „Vertrauens“-Strategie
  • Die „Ad Server“-Strategie
  • Die „Warten auf Godot“-Strategie
  • Die „Quersubventionierungsstrategie"
  • Die „All in“-Strategie

Qualifizieren sich alle Archetypen tatsächlich als Strategien?

Wahrscheinlich nicht. Sie decken aber weitestgehend die aktuelle Bandbreite jener Herangehensweisen ab, mit denen sich Verlage mit dem „Sturm der Digitalisierung“ (Dr. Bernhard Rohleder, Bitkom-Hauptgeschäftsführer) bis dato auseinandersetzen.

A. Die „Paywall“-Strategie

„Denn was im Print ging, muss auch online funktionieren. Sonst hat Journalismus keine Zukunft“ (Überzeugung von Pay-Wall-Strategisten)**

Als das Internet in den 1990er Jahren auf der Bildfläche erschien, wurde es von den meisten Medienhäusern nicht so richtig ernst genommen. So kam es zu einem Fehler, der Verlagen bis heute in den Knochen sitzt: Sie stellten Inhalte einfach kostenfrei im Internet zur Verfügung, besetzten spärlich ausgerüstete Online-Teams mit Volontären und Praktikanten und gewöhnten die Nachrichtenleser daran, dass alles, was es im Netz gibt, eben kostenlos ist. Umso schwerer fällt es heute, Geld für Online-Inhalte zu verlangen.

Die zahlreichen Medienhäuser, die seit einigen Jahren nun eine Digitalstrategie im Sinne einer „Paywall“-Strategie verfolgen, versuchen es trotzdem. Hierfür gibt es die Varianten:

  • „harte Paywall“, wo für alle Inhalte zu bezahlen ist
  • „Metered Paywall“, wo ab einer bestimmten Anzahl von Artikeln Geld verlangt wird
  • „Freemium“, wo gewisse Arten von Artikeln nur gegen Geld zu lesen sind

Wie erfolgreich die Paywalls sind, ist dabei schwer einzuschätzen, da sich wenige Redaktionen hierzu bislang in die Karten schauen ließen. Zahlen werden, mit Ausnahme weniger Häuser, selten kommuniziert. Eine der wenigen Ausnahmen ist die Rheinzeitung, die regelmäßig „harte“ Zahlen dazu veröffentlicht, wie viel sie bereits mit der Paywall verdient: Im Oktober 2016 waren das 107.384 € pro Monat. Hinzu kamen Umsätze in etwa gleicher Höhe aus Werbung.

Reicht das, um eine ganze Redaktion finanzieren? Das kommt natürlich auf die Größe der Redaktion an.

B. Die „Vertrauens“-Strategie

„Wir vertrauen unseren Lesern, uns ausreichend zu schätzen, so dass sie aus freien Stücken für unsere Arbeit zahlen.“ (Was ich sagen würde, wäre ich bei der taz)

Auf ein freiwilliges Modell setzt die taz mit taz.zahl ich. Die taz ist damit innerhalb der Branche recht allein und begründet den Weg damit, dass „Paywalls und Paid-Content-Modelle in Zeiten von Falschmeldungen, Hetze und Hass im Netz ein Zeichen der Abschottung, ein Schritt in Richtung Zweiklasseninformationsgesellschaft“ seien.

Die Entwicklung des auf Freiwilligkeit beruhenden Bezahlmodells lässt sich sehen: Bis Juni 2017 konnten mehr als 10.000 Unterstützer für regelmäßige, freiwillige Beiträge gewonnen werden. Hinzu kommen spontane Beiträge von Lesern. Von 10.000 Euro monatlich im Startjahr 2014 erwirtschaftet die taz auf diese Weise mittlerweile mehr als 60.000 Euro pro Monat.

Lässt sich davon eine ganze Redaktion bezahlen? Das hängt – wieder – natürlich von der Größe der Redaktion ab.

Empfiehlt sich das Modell für andere Zeitungen bzw. Zeitungsverlage? Durchaus – die Frage ist eher, inwiefern es sich so einfach replizieren lässt. Denn was der taz gelungen ist, gelingt nur mit einer starken Leserbindung an ein Blatt, d. h. wenn sich Leser stark mit einem Medium identifizieren und sich auch emotional verbunden fühlen. Diese Bindung – so würde ich behaupten – ist bei taz-Lesern gegenüber „ihrer“ taz aufgrund der Blattgeschichte und Weltanschauung, die das taz-Publikum tendenziell miteinander teilen, deutlich stärker, als beim deutschen Durchschnittszeitungsleser gegenüber der deutschen Durchschnittstageszeitung.

C. Die „Ad Server“-Strategie

„Denn ohne Google oder Ströer geht heute gar nix mehr.“ (Ein Interessent, der dann enttäuscht war, dass im Merkurist-Newsroom keine externen Ad-Server anbindbar sind)

Ein paar Nachrichtenplattformen setzen heute noch ausschließlich auf Werbung. Ein großer Teil davon arbeitet hierfür teilweise oder vollständig mit externen Ad Servern zusammen.

Da die Fillrate der meisten Ad Server bei weniger als 100 % liegt, d. h. keine 100%ige Vermarktung von verfügbaren Werbeplätzen zusichern kann, werden immer häufiger gleich mehrere Ad Server in eine Website eingebunden. Da Google AdSense (bzw. die mobile Variante: AdMob) eine Ausnahme-Fillrate von 99,9 % hat, ist Googles Ad Server heute in nahezu jedem Ad-Server-Mix, insbesondere solcher von kleineren Medienhäusern, enthalten.

Die Vorteile:

  • Werbeplätze werden zuverlässig ausgelastet und der Content darum herum monetarisiert.
  • Eine eigene Vertriebsorganisation kann entlastet oder tatsächlich obsolet gemacht werden.

Die Nachteile:

  • Die Plattformen, die externe Ad Server bei sich einbinden, geben damit automatisch erhebliche Umsatzanteile an den Betreiber des Ad Servers ab.
  • Man begibt sich in eine Abhängigkeit von diesen Ad-Server-Plattformen, samt ihrer Geschäftsbedingungen und Algorithmen.
  • Man verschafft den Betreibern des Ad Servers Zugang zu prinzipiell allen Daten, die auf der Plattform generiert werden. Wirtschaftlich profitiert also unterm Strich dann doch vor allem der Ad-Server-Betreibende, Umsatzbeteiligung hin und her. Hinzu kommen Datenschutz-Aspekte.

Denn auch nach dem Safe-Harbor-Abkommen und nun dem US-EU Privacy Shield Deal besteht bei der Nutzung nicht-europäischer Ad Server mit Blick auf den Datenschutz keine Rechtssicherheit. Immer wieder wurde und wird die Vereinbarkeit der Abkommen mit EU-Recht in Frage gestellt.

Wie strategisch kann es sein, sich von Quasi-Monopolisten abhängig zu machen? Die Beantwortung dieser Frage sei jedem Einzelnen überlassen.

D. Die „Warten auf Godot“-Strategie

„Irgendwann muss doch die Lösung da sein. Wir sind viel zu relevant, als dass irgendeine höhere Gewalt nicht dafür sorgen wird, dass wir überleben.“ (Statement einer Branchenpersönlichkeit)

In HORIZONT Online beschrieb Christoph Salzig nach den Münchner Medientagen 2016 die Digitalstrategie einiger Verlage als „Die Chroniken von Naja“. Sie seien seit 20 Jahren „verzweifelt auf der Suche nach den Heilsbringern im Online-Business“. Zunächst unterschätzten sie „das Internet“, dann begannen sie Experimenten, nun suchen sie das Heil in der staatlichen Intervention.

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Die „Warten of Godot“-Strategie findet sich oft auch in solchen Häusern wieder, die offiziell eine der anderen, hier benannten Strategien verfolgen. Bei dieser Strategie geht es in vielerlei Hinsicht darum, vom Staat mehr Aufmerksamkeit und Schutz für die Medienbranche einzufordern. Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE, drückte es in seiner Eröffnungsrede des kürzlichen Zeitungskongresses 2017 wie folgt aus: „Wir erwarten, dass die Politik für Rahmenbedingungen sorgt, die es uns ermöglichen, Journalismus als Geschäftsmodell zu betreiben.“

Das ist natürlich ein legitimes Argument. Denn natürlich braucht eine freiheitliche Gesellschaft eine unabhängige Presse. Die Frage, die sich dennoch stellt ist: Gibt es tatsächlich keine andere Möglichkeit, als das 150 Jahre alte Geschäftsmodell der Print-Zeitung nun zwanghaft auch im digitalen Zeitalter am Leben zu halten? Ist dies wirklich das einzig denkbare Geschäftsmodell?

Oder bedarf es vielleicht einfach eines anderen Geschäftsmodells, das nur eben die aktuelle Vorstellungskraft vieler langjähriger Medienmacher übersteigt? In den Worten von Christoph Salzig: „Ob Leistungsschutzrecht oder Ad Blocking – der Gesetzgeber soll helfen, die Branche ‚zukunftsfest‘ zu machen. Es wird der differenzierten Argumente zwar nicht gerecht, aber ein wenig klingt das so als würde die Automobilindustrie die Regierung auffordern die Abgaswerte anzuheben, um die Zukunft einer Branche zu sichern, die sich mit Innovationen ein bisschen schwer tut.“

Das Leistungsschutzrecht, für das sich Mathias Döpfner einst stark einsetzte und mittlerweile selbst als gescheitert betrachtet (siehe auch diesen Artikel aus DIE ZEIT „Auch Springer beugt sich Googles Marktmacht“), ist nur ein Beispiel dafür, mit welchen Aussichten die „Warten auf den Staat“ bzw. „Warten auf Godot“-Strategie wahrscheinlich gesegnet ist: Eher weniger guten.

Was man als Verlag stattdessen tun sollte, um sich gegen die Marktmacht der einschlägigen wenigen Unternehmen zu positionieren und eine langfristige Unabhängigkeit zu ermöglichen, habe ich hier in einem so genannten "Netzwerkansatz" skizziert.

E. Die „Quersubventionierungsstrategie“

"Journalismus schön und gut – aber vielleicht doch einfach eCommerce?" (inspiriert von einem Gespräch mit dem Digitalchef eines Verlags)

Medienhäuser, die diese Strategie verfolgen, haben verstanden, dass es ohne Digital nicht mehr geht.

Sie diversifizieren daher ihr Verlagsportfolios zugunsten von digitalen Produkten und Umsätzen – allerdings vor allem solchen, die mit Journalismus nur noch wenig am Hut haben. Hierzu gehören eCommerce-Angebote, Online-Marktplätze, Apps. In Ermangelung kreativer Ideen, wie man denn auch mit Journalismus digital gutes Geld verdienen kann, sehen die „All but“-Strategen die Zukunft in einem Produktportfolio, in dem es zwar auch noch Tages- oder Wochenzeitungen und Magazine gibt, dieses aber vor allem dort finanziell lukrativ ist, wo der Journalismus de facto keine Rolle spielt.

Das naheliegende Beispiel der deutschen Verlagsbranche ist die Axel Springer SE. Axel Springer hat es geschafft, den Anteil des Digitalumsatzes des Konzerns von 24,4 % (2010) auf über 70 % (2016) zu steigern.

Die Umsatztreiber hier sind jedoch weniger die klassischen Marken wie Bild, Die Welt oder neueren journalistische Ventures (z. B. POLITICO.eu, Business Insider), sondern Rubrikenprodukte und Vermarktungsangebote, d. h. Stepstone, Immoweb, @Leisure, idealo, finanzen.net und so weiter. Einen Anhaltspunkt hierfür bietet der Vergleich der Rubrikenumsätze mit den Umsätzen aus den Bezahlangeboten der BILD-, WELT- und internationalen journalistischen Unternehmensgruppen: Während die Rubrikenumsätze 2016 um stattliche +16,8 % zulegten, verzeichneten die journalistischen Bezahlangebote Umsatzeinbußen von in Summe -6,4 %.

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So lässt sich ganz hervorragend die Profitabilität aufrechterhalten. Das immer weniger profitabel werdende journalistische Geschäft kann mit Journalismus-fremden Umsätzen quersubventioniert werden. Mit dem einstigen Kerngeschäft des Journalismus haben Verlage, die diese Strategie verfolgen, perspektivisch immer weniger zu tun. Perspektivisch kann bzw. sollte zudem auch eine Diskussion über die Unabhängigkeit quersubventionierter journalistischen Angebote geführt werden.

Finanziell attraktiv ist die Quersubventionierungsstrategie trotzdem.

F. Die „Vollgas“-Strategie

„Wenn wir Digital machen, dann lasst’s uns richtig machen.“ (Kunde von Merkurist)

Eine weitere, eher selten gesichtete Strategie, kann als digitale Vollgas-Strategie bezeichnet werden. Hier ist der Entschluss gefallen, das Kerngeschäft einer digitalen Generalüberholung zu unterziehen, also nicht nur einzelne Experimente für inkrementelle Veränderungen vorzunehmen oder sich Digitalumsätze dazuzukaufen.

Beispiele aus Deutschland sind wahrscheinlich am besten unter den Verlagshäusern der Ippen Gruppe zu finden, die sich von Ippen Digital von der strategischen Konzeption bis hin zum Aufsetzen eines passenden Kennzahlenmanagements unterstützen lassen.

Der Vorteil der Vollgas-Strategie: Hier meint man’s ernst und versucht, sich dem digitalen Wandel der Branche nicht einfach zu unterwerfen, sondern sie mit eigenen Ideen und Entwicklungen mitzugestalten. Zudem macht man sich und sein Haus schon im Prozess der Strategieentwicklung und -Umsetzung im Vergleich deutlich beweglicher – was einen auch für die nächsten strategischen Herausforderungen wappnet.

Der Nachteil dieser Herangehensweise: Es kann kostspielig werden, wenn man eine vollständig maßgeschneiderte Lösung sucht – und entwickeln möchte. Insofern empfiehlt es sich, sich mit Geschäftsmodellen und Software-Lösungen am Markt auseinanderzusetzen und sich zu fragen: „Welche davon passt am besten zu mir?“

Und welche Strategie ist nun die Richtige?

Gute Frage! Das werden wir hoffentlich in ein paar Jahren wissen.

Wäre ich der Leiter eines Verlags oder Digitalchef würde ich wahrscheinlich auf einen Mix von E., der Quersubventionsstrategie, und F., die Vollgasstrategie, setzen.

Der Aufbau eines diversifizierten Portfolios kann helfen, vorläufige Umsatzeinbußen im Kerngeschäft aufzufangen. Und Vollgasgeben – das heißt seine Prozesse, sein Produkt und die dazugehörige Verlagskultur zu digitalisieren – ist meines Erachtens die einzige Strategie, mit der man sich nicht nur für 10 Jahre, sondern gleich mehrere Jahrzehnte fit für die Zukunft machen kann. Verlagsbranche

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