Einen Text über meine Meinung zu schreiben fällt mir eher schwer. Als Journalistin will ich zu den meisten Dingen keine öffentliche Meinung haben, nicht bewerten, sondern berichten – und das finale Urteil dem Leser selbst überlassen. Soweit die zugegebenermaßen doch recht idealistische Theorie. Eine Meinung, die ich mit der Öffentlichkeit teilen will, habe ich dann aber doch: Ich bin der Meinung, dass wir Journalisten weniger über unsere Meinung schreiben sollten. Ein Meinungsbeitrag über weniger Meinung also? Klingt paradox. Ist es aber nicht.
Der Journalismus hat es in Zeiten der Lügenpresse-Vorwürfe und Fake-News-Schreier schwer. Zuzuschreiben haben wir Journalisten es uns aber zu großen Teilen selbst. Dass Journalisten ihre Meinung immer öfter in die Berichterstattung einfließen lassen, ganz gleich ob unterschwellig oder doch sehr offensichtlich, haben unter anderem Medienforscher Michael Haller und die Otto-Brenner-Stiftung in ihrer Studie „Die 'Flüchtlingskrise' in den Medien – Tagesaktueller Journalismus zwischen Meinung und Information“ festgestellt.
Die Wertung versteckt sich auch immer wieder – mal mehr und mal weniger gut getarnt – im eigentlich sachlich gedachten Bericht.
Das Ergebnis bezieht sich allerdings nicht nur auf reine Meinungsbeiträge, die in dieser Zeit laut der Studie einen doch recht großen Teil der Berichterstattung im Vergleich zu anderen journalistischen Formaten ausgemacht haben. Die Wertung versteckt sich auch immer wieder – mal mehr und mal weniger gut getarnt – im eigentlich sachlich gedachten Bericht. Grundlage der Studie waren mehr als 30.000 Artikel regionaler und überregionaler Zeitungen zwischen Februar 2015 und März 2016.
Oft „wertend und beurteilend“ statt „neutral und sachlich“
Konkret heißt es im Fazit der Studie: „Der journalistische Qualitätsgrundsatz, aus neutraler Sicht sachlich zu berichten, wird in rund der Hälfte der Berichterstattungen nicht durchgehalten.“ Die Art und Weise, wie über die Positionierung eines Politikers berichtet worden sei, sei in vielen Fällen „wertend und beurteilend“, bei Vertretern der Opposition auch „von oben herab“.
„Zudem“, so das Fazit weiter, „schreiben die Korrespondenten nicht selten in einer Diktion, die persönliche Nähe, auch Vertrautheit zur politischen Elite suggeriert [...]. Diese Attitüde kann beim Leser den Eindruck erzeugen, die berichtenden Journalisten seien weniger am Thema selbst als an den über das Thema transportierten Querelen interessiert.“ Und schließlich noch der Punkt, der wohl bei einigen Lesern zu Bauchschmerzen geführt hat:
„Kaum ein Kommentar versuchte eine Differenzierung zwischen Rechtsradikalen, politisch Verunsicherten und besorgten, sich ausgegrenzt fühlenden Bürgern“, so die Studie. „So dienten die Kommentare grosso modo nicht dem Ziel, verschiedene Grundhaltungen zu erörtern, sondern dem, der eigenen Überzeugung bzw. der regierungspolitischen Sicht Nachdruck zu verleihen.“
Eine Beobachtung, die sich nicht nur auf die Berichterstattung während der Flüchtlingskrise beschränkt, sondern sich viel mehr bis zum heutigen Tag zieht – und sich auch in der Berichterstattung zur Bundestagswahl wiederfand. Auch in puncto AfD war es einigen Journalisten schwer gefallen, ihre persönliche Meinung auszublenden und sachlich zu bleiben.
„Überehrgeiz“ oder tiefe Gewissenskrise der Journalisten?
„Das Problem ist auch etwas, das man euphemistisch als Überehrgeiz der Interviewer bezeichnen könnte“ - Stefan Niggemeier (Übermedien)
„Das Problem ist auch etwas, das man euphemistisch als Überehrgeiz der Interviewer bezeichnen könnte“, schreibt Stefan Niggemeier für „Übermedien“ zu der Art, auf die viele Journalisten im Vorfeld der Bundestagswahl mit der AfD umgegangen sind. „Sie wollen die AfD nicht nur befragen, sondern vorführen oder bloßstellen. Eine Frage an die AfD darf nicht ohne Vorwurf, ohne Verurteilung, ohne Distanzierung auskommen.“
Aber warum ist das so? Warum fällt es uns so schwer, neutral zu bleiben, unsere persönlichen Befindlichkeiten auszublenden? Kritischer Journalismus geht doch auch in sachlich. Trauen wir den Lesern keine eigene Meinung mehr zu? Oder haben wir Angst, dass sie nach dem Lesen unserer Artikel eine Meinung entwickeln, die nicht mit unserer zusammenpasst?
Vielleicht sieht sich ein Teil von uns tatsächlich als Meinungselite. Ein anderer Teil von uns befindet sich, so glaube ich, stattdessen in einer tiefen Sinn- und Gewissenskrise. In einer Zeit der extremen Ansichten, des strikten schwarz-weiß-Denkens, vor allem in den sozialen Netzen, wollen wir nicht verantwortlich sein für extreme Meinungen in der Bevölkerung. Wir schreiben Artikel von vorsichtig über einseitig bis meinungslastig – damit die Leser bloß nicht auf falsche Gedanken kommen. Doch diese Einstellung ist nichts anderes als egoistisch und kontraproduktiv.
Wir instrumentalisieren den Journalismus – und machen ihn damit kaputt
Durch so ein Verhalten sprechen wir den Lesern das Recht auf eine eigene Meinungsbildung ab – und unterschätzen dabei auch noch ihre Fähigkeit, unser Tun zu durchschauen. Wir instrumentalisieren den Journalismus im Dienst der guten Sache, der – zumindest für uns – richtigen Meinung. Aber um es mit Siegfried Weischenberg zu sagen: „Jede Indienstnahme – auch zu einem guten Zweck – schadet dem Journalismus.“
„Das Gegenteil von 'gut' ist 'gut gemeint'“, singen Kettcar, und selten hat ein Songzitat so gut gepasst. In Zeiten, in denen Journalisten so wenig vertraut wird wie heute, erreichen wir mit einseitigen Berichten und unserem teils nicht als solchen gekennzeichneten Meinungsjournalismus – den viele Journalisten vielleicht tatsächlich nur gut meinen – das Gegenteil. Leser, die sich bevormundet fühlen, ihr Vertrauen verlieren und schließlich die Trotzreaktion: das Abwenden von etablierten lokalen und überregionalen Medien.
Die journalistische Eitelkeit überwinden
Die Lösung dafür ist genau das, was eigentlich selbstverständlich sein soll: weniger Meinung und mehr Sachlichkeit. Ausgewogene Berichte. Stimmen von beiden Seiten. Neutralität. Und Distanz. Das bedeutet nicht, dass Journalisten keine Meinungsbeiträge mehr schreiben sollen – deren Existenzberechtigung im Feld der journalistischen Formate ist unbestreitbar. Wir Journalisten sollten uns nur ein bisschen öfter überlegen, ob unsere Meinung auch davon ab so wichtig für den Leser ist – und ob wir uns damit nicht ein bisschen zu wichtig nehmen.
Vielleicht müssen wir in diesem Zusammenhang auch einfach unsere journalistische Eitelkeit überwinden, von unserem hohen Ross heruntersteigen und uns ein bisschen mehr als Dienstleister gegenüber unseren Lesern sehen. Unser Dienst ist nicht die Übermittlung unserer Meinung zu einem Sachverhalt, sondern die Übermittlung von Information, sachlich und ausgewogen. Eine Rückbesinnung auf Grundfeste des journalistischen Handwerks. Einfach wird das nicht. Am Ende ist es aber vielleicht die einzige Lösung, um das Vertrauen in die Presse wieder zu stärken.