Dass diese Frage früher oder später gestellt wird, ja gestellt werden muss, ist kein Wunder. Denn das Ein- und Auskommen von Journalisten bewegt in der Medienbranche die Gemüter. Erst vor Kurzem wurde mir erzählt, dass in manchen Verlagen noch bis in die 1990er hinein der Mythos galt, nur mit Diamanten noch besseres Geld verdienen zu können als im Zeitungs- und Verlagswesen.
Diese diamantenen Zeiten sind zusammen mit dem goldenen Printzeitalter vergangen. Ohne ein gleichermaßen lukratives Geschäftsmodell hat die digitale Welt für Journalisten scheinbar immer weniger Geld, weniger Festanstellungen und immer mehr freie Beschäftigungsverhältnisse zu bieten. Umso wichtiger ist die Diskussion um die Honorare freier Autoren.
Immer weniger Geld, immer mehr prekäre Beschäftigungsverhältnisse?
So lag das durchschnittliche Bruttoeinkommen von freien Journalisten laut Deutschem Journalistenverband (DJV) im Jahr 2014 bei 2.180 Euro und nur geringfügig über dem 2008 ermittelten Durchschnittseinkommen von 2.147 Euro. Unter Berücksichtigung der Inflation sei das Durchschnittseinkommen der Freien daher seit 2008 real um rund 8 Prozent gesunken. Laut DJV und Bundesagentur für Arbeit suchten 2015 doppelt so viele Journalisten nach Arbeit, wie arbeitslos gemeldet waren. Das ließe sich, laut Frank Patalong in seinem Beitrag in SPIEGEL Karriere vom 02.01.2017, vor allem durch prekär bezahlte freie Journalisten erklären, für die das finanzielle Auskommen als Freie nicht ausreiche.
Die Journalisten-Gewerkschaften und Initiativen wie Freischreiber, die sich für die Rechte von freien Journalisten einsetzen, haben das Thema Honorare daher ganz oben auf der Agenda.
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Was ist ein faires Honorar für Journalisten im digitalen Zeitalter?
An der Frage der Fairness scheiden sich die Geister. Denn was ist schon fair und gerecht? Nur als jüngere Beispiele benannt seien:
- Der DJV findet es "unfair", wenn der BDZV (Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e. V.) die gemeinsamen Vergütungsregeln kündigt.
- Der Berufsverband Freischreiber findet die gemeinsamen Vergütungsregeln unfair.
- Der BDZV findet es "unfair", wenn eine Gesetzesnovellierung ein sogenanntes Verbandsklagerecht einführt und künftig zur "Grundlage eines zwingenden und unflexiblen Vertragsregimes" werde.
Meines Erachtens liegt im Fairnessbegriff an sich schon das Problem bzw. im Anliegen, Gehalts-/Honorarfragen an den Begriff der "Fairness" zu knüpfen. Denn "Fairness" und "gutes Geld verdienen" haben in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem grundsätzlich wenig miteinander zu tun.
Fairness im Zusammenhang mit Gehalt und Honoraren einzufordern, widerspricht dem Wirtschaftssystem, in dem wir leben
In unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem bekommen viele nicht das, was sie meinen, zu "verdienen" oder was ihnen angesichts ihres Arbeitsaufwands, ihres Engagements und gesellschaftlichen Mehrwerts aus theoretischer Perspektive zustehen sollte. Denn das kapitalistische Wirtschaftsmodell funktioniert nicht nach Aufwand – es funktioniert rein nach Arbeitsproduktivität bzw. nach dem wirtschaftlichen Reichtum, das produziert wird. Olivia Kühni schrieb hierzu Anfang 2015 in DIE ZEIT einen spannenden Beitrag, in dem sie u. a. sagt:
"Der überwiegende Teil der Lohnunterschiede hat nichts damit zu tun, wie klug, kreativ, fleißig oder fürsorglich ein bestimmter Mensch ist. Sondern schlicht damit, welchen Beruf er gewählt hat. Manche Tätigkeiten schaffen einfach mehr Reichtum als andere, darum sind sie besser bezahlt."
Solange sich mit Journalismus also heute kein rechter Reichtum (mehr) erwirtschaften lässt, ist auch – ganz nüchtern betrachtet – die Arbeitsproduktivität von Journalisten verhältnismäßig geringer als die des SEO-Optimierers, des YouTube-Influencers oder des Content-Marketing-Produzenten. Kühni sagt dazu:
"[Die Arbeitsproduktivität] ist eine sehr eindimensionale Bewertung, nüchtern und kühl. Man darf sie dumm und unfair finden. Und auf keinen Fall sollte man den Geldwert einer Arbeit verwechseln mit dem Wert, den sie für die Gesellschaft hat – oft ist das Gegenteil der Fall."
Geldwert entspricht nicht notwendigerweise dem gesellschaftlichen Wert
Dass es eine Dichotomie zwischen wirtschaftlichem Wert und gesellschaftlichem Wert gibt, spielt im Fairness-Diskurs um die Honorare freier Journalisten bisher eine sehr untergeordnete Rolle. Dies hat wahrscheinlich unter anderem damit zu tun, dass Journalisten bis vor ein paar Jahren eben nicht zu jenen Berufsgruppen gehörten, die vom kapitalistischen Wirtschaftssystem aufgrund ihrer geringeren bzw. abnehmenden Arbeitsproduktivität systematisch benachteiligt wurden. Andere, vor allem soziale Berufe, müssen sich mit dieser Benachteiligung schon viele Jahrzehnte länger auseinandersetzen.
Denn es ist diese Dichotomie zwischen wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Wert, die alle Gehaltsfragen in der Gesellschaft grundsätzlich unfair macht. Hat ein Marketing-Manager nun wirklich mehr Geld verdient als eine Journalistin? Ist der Wert einer Software-Entwicklerin tatsächlich höher als der eines Krankenpflegers oder eines Kindergärtners?
Die Definition von "Gerechtigkeit als Fairness" im Sinne von John Rawls hält Honorar- bzw. Gehaltsfrage im kapitalistischen Wirtschaftssystem jedenfalls selten stand.
Soll man die Diskussion um faire Honorare für freie Journalisten nun also bleiben lassen?
Das bedeutet nicht, dass die Debatte um faire Honorare für freie Journalisten sinnlos ist und nicht geführt werden sollte. Es bedeutet vielmehr, dass sich die Debattierenden überlegen sollten, wo und wie denn mehr "Fairness" in der Entlohnung für Journalisten zu realisieren sei. Denn wirtschaftlich lassen sich höhere, "fairere" Honorare für freie Journalisten nach der klassischen Zeilenmetrik durch immer weniger Verlage und Tageszeitungen darstellen.
Es muss stattdessen darum gehen, ein Mehr an Fairness auf andere Art und Weise abzubilden. Ansatzpunkte hierfür können liegen in:
- anderen als wirtschaftlichen Aspekten von Fairness: Der "Code of Fairness" von Freischreiber bietet hier zahlreiche wichtige und richtige Anknüpfungspunkte, die über das Finanzielle hinausgehen. Denn ein fairer Umgang mit freien Autoren bemisst sich nicht nur am Honorar, sondern auch an der Verbindlichkeit von Zusagen, an den Rechten des Autors am eigenen Werk, an eigenen Ideen etc.
- der öffentlichen Subventionierung der Honorare von Journalisten, um den im Wesentlichen an Arbeitsproduktivität orientierten Markt zu unterlaufen.
- neuen, innovativen Honorarmodellen, die die Arbeit von Journalisten wieder stärker in Einklang mit ihrer Arbeitsproduktivität bringen, als das die Bemessung von Honoraren nach Zeilen im Internetzeitalter noch tut. Die Zeile ist online schließlich keine Währung mehr.