Community-Journalismus, Partizipativer Journalismus, Grassroot Journalism, Bürgerjournalismus: All diese Begriffe beschreiben ein Journalismus-Modell, bei dem Leser in die Entstehung bzw. Aufbereitung von News einbezogen werden. Dennoch beschreiben die Begriffe unterschiedliche Denkweisen über Leserpartizipation. Gibt es bereits Nachrichtenplattformen, die ihre Leser einbeziehen und Interaktion fördern? Gibt es Beispiele für ein Best Practice – auch weltweit betrachtet?
Was bedeutet Partizipativer Journalismus?
Partzipiativer Journalimus könnte ein Überbegriff sein für alle Formen von Journalismus, bei denen der Leser oder Nutzer (bei Videoformaten) einbezogen wird – ob bei der Themenfindung, Recherche oder Bewertung. So beschrieben Schayne Bowman und Chris Willis (2003) Partizipativen Journalismus folgendermaßen:
"The act of a citizen or group of citizens, playing an active role in the process of collecting, reporting, analysing and disseminating news and information. The intent of this participation is to provide independent, reliable, accurate, wide-ranging and relevant information that a democracy requires."
Der Gedanke hinter Partizipativem Journalismus sei demnach, eine breit gefächerte und unabhängige Berichterstattung zu schaffen, die sich an eine breite Lesermasse richtet. Außerdem kann die Möglichkeit der Partizipation an einem journalistischen Produkt die Leser-Community als Ganze stärken, aber auch den Einzelnen enger an das Medium binden. Indem man den Leser wahrnimmt, auf seine Impulse eingeht und möglicherweise auch Material von ihm verwendet, baut man eine Beziehung auf.
Ein weiterer Begriff, der im Zusammenhang mit Partizipativem Journalismus fällt, ist der Grassroot Journalism (oder Graswurzeljournalismus). Grassroot Journalism ist eng gefasst ein Augenzeugenbericht von einem Leser (oder auch Nicht-Leser), der Informationen über Ereignisse als Erster vor Ort erhält und an die Redaktion weitergibt. Diese Art des Journalismus umfasst nicht nur das Teilen von Fakten, sondern auch das Teilen von Bilder, Videos oder anderem nützlichen Material.
Ebensfalls häufig verwendet, aber negativ behaftet, ist der Begriff des Bürgerjournalismus, der auch eine Beteiligung von Bürgern an journalistischen Inhalten voraussetzt. Allerdings verbinden einige damit eine negative Einmischung im Sinne von "Da darf ja jeder seinen Senf dazugeben."
Unterschiedliche Arten der Lesereinbindung
Lesereinbindung damals
Dass sich Menschen unentgeltlich an der Aufbereitung journalistischer Produkte beteiligen, gibt es nicht erst seit gestern, stellt auch Sven Engesser (2012) fest. Tatsächlich wurde und wird auch im Print- Radio- und Fernsehjournalismus partizipativ mit den Lesern zusammengearbeitet. Sicher kennen auch Sie Formen des Leserbriefs, des Hörertelefons oder eines Offenen Kanals. Dabei spielt sich allerdings alles analog ab. Der Digitaljournalismus hingegen bietet einfachere Möglichkeiten, um mit den Lesern zu interagieren – ob in Form von Kommentaren, zusäzlichen Informationen oder Datenuploads (Bild und Video).
Wie werden Leser heute einbezogen?
Über Online-Nachrichtenplattformen können Leser schneller und einfacher mit der Redaktion/den Lesern interagieren. Die Nutzung ist intuitiver und mit weniger Aufwand auf Seiten der Leser verbunden. Statt einen Leserbrief zu schreiben und per Post zu versenden, kann – einem echten Dialog viel ähnlicher – direkt unter Artikeln kommentiert werden. Dadurch, dass der Aufwand der Interaktion sehr gering gehalten wird, ist auch die Hemmschwelle geringer, mit der Redaktion zu interagieren.
Dabei kann Lesereinbindung durch Partizipativen Journalismus ziemlich unterschiedlich verstanden und bewertet werden. Ist der Kommentar unter einem YouTube-Video automatisch eine partizipierende Handlung im Rahmen eines journalistischen Produkts? Nimmt der Leser Teil am Journalismus, wenn er einen Twitter-Tweet teilt oder kommentiert? Hier gibt es Angriffspunkte, welche Aktion dem Journalismus zugeordnet werden kann und welche nicht.
Best Practice: Diese Unternehmen beziehen ihre Leser mit ein
Merkurist
Merkurist sieht den Leser nicht am Ende der journalitischen Wertschöpfung, nicht als Abnehmer, der lesen muss, was man ihm vorsetzt. Vielmehr begleitet der Leser den gesamten journalistsichen Prozess und gibt Denkanstöße bzw. liefert auch nützliches Recherchematerial. Die Merkurist Community hat viele Möglichkeiten, um mit der Redaktion/den Journalisten der Plattform zu interagieren.
Village Media
Village Media aus Kanada betreibt Lokaljournalismus, der sich ausschließlich durch digitale Werbung bezahlt macht. Jeff Elgie, CEO, sieht die Kraft in den lokalen Communities. Ihre gemeinsamen Interessen verbinden und schaffen, dass Village Media so ein starkes Produkt ist (mit 26 Millionen Seitenaufrufen monatlich). Die Newsseite lässt sich schnell und leicht replizieren, dass auch andere Regionen ihren eigenen Lokal-Newsroom aufbauen können.
Die Welt
Ein Beispiel für sehr lesernahe und "interaktionsfördernde" Kommunikation zwischen Leser und Redaktion ist die Facebook-Page von Die Welt. Die Redaktion reagiert auf Nutzerkommentare mit Humor, aber auch Service. Als würde sie mit einem guten Freund scherzen und plaudern, beantwortet sie viele Kommentare. Dennoch legt Die Welt großen Wert auf den guten Ton. Wutbürger werden nicht geduldet. Die starke Interaktion wirkt sich positiv auf das Image der Nachrichtenplattform aus, die Leser kommentieren gerne und viel. Nachteil: Die ganzen Interaktionen finden nur in der Facebook-Umgebung statt.
WikiTribune
Auch bei WikiTribune wird die Leser-Community eng in den Aufbereitungsprozess von News miteinbezogen. Denn hier arbeiten Journalisten mit einer freiwilligen Community zusammen. Ziel ist es Fake-freie News basierend auf einer genauen Recherche zu schaffen – und das in Form von investigativem Journalismus. Die Community kann Texte gegenlesen, Fakten prüfen und Quellen ergänzen.