Merkurist: Nicole, Ralf, Ihr seid von Anfang an als Journalisten bei Merkurist Mainz dabei gewesen – wie wurdet Ihr zu Beginn in Mainz wahrgenommen? Ralf: Ich glaube, dass wir von den Lesern sehr positiv wahrgenommen wurden. Die fanden es cool, dass es in der Stadt ein neues Medium mit etwas jüngeren Themen gibt. Bei vielen Interviewpartnern war es aber schwierig, weil man sich erstmal ewig lang vorstellen musste.
Nicole: Genau. Am Anfang kannte uns keiner, wir mussten viel telefonieren und viel erklären, was wir machen und wer wir sind. Bei den größeren Pressestellen, mit denen wir viel Kontakt haben, haben wir uns ausführlicher und meistens auch persönlich vorgestellt. Was am Anfang auch mal für Irritation gesorgt hat, war, wenn wir einen Autor zu einem öffentlichen Termin oder einer Sitzung vom Ortsbeirat geschickt haben und die Merkurist noch gar nicht kannten. Da empfiehlt es sich, vorher zumindest kurz anzurufen.
Was habt Ihr damals gemacht, um Euren Lesern zu zeigen: Hey, hier gibt es jetzt eine neue Onlinezeitung! Wie habt Ihr Euch von der Konkurrenz abgehoben und wie seid Ihr letztlich bekannter geworden? Ralf: Facebook war für uns vor allem am Anfang sehr wichtig. Wir hatten noch nicht viele direkte Zugriffe, wurden aber recht schnell über Facebook wahrgenommen und haben da auch unser System rund um Sniperstellung, Leserinteraktion und das, was uns anders, als die anderen Medien macht, erklärt. Gerade über Facebook sind wir auch immer bekannter geworden, haben uns von ein paar Dutzend Likes recht schnell zu über 10.000 entwickelt und es hat vielleicht ein halbes bis ganzes Jahr gedauert, bis wir von einer größeren Masse wahrgenommen wurden. Außerdem hatten wir in der Anfangszeit eine größere Plakatkampagne in der Stadt, bei der wir Mainzer Promis nachgestellt haben, die Merkurist lesen - so wurden wir nicht nur auf dem Handydisplay und am Laptop, sondern auch in der Stadt für die Mainzer sichtbar.
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Du sagst, Ihr habt den Lesern viel über Facebook erklärt. Wie genau habt Ihr die Leser dazu gebracht, das System zu nutzen? Habt Ihr ein Beispiel? Nicole: Was gut funktioniert, ist das Posten von Snips und die Leser dann explizit aufzufordern, sich unter dem Snip zu beteiligen. Das geht natürlich nicht bei jedem Thema. Ein Beispiel wären Snips, in denen wir Leserbilder für Fotostrecken sammeln. Das machen wir unter anderem bei verschiedenen Sommerfesten oder Feuerwerken hier in Mainz und sagen dann beispielsweise: „Schickt uns für unseren Artikel Eure schönsten Fotos vom Feuerwerk!“. Sowas motiviert viele zum Mitmachen, weil ihr Foto später im Artikel erscheint. Wenn wir sowas auf Facebook posten, erklären wir immer noch zusätzlich in einem Kommentar unter dem Post, dass wir nur die Bilder, die bei uns auf der Plattform gepostet werden, einbinden können. Oft schicken wir auch noch eine kurze Erklärung zum System mit.
Viele Journalisten sind skeptisch, wenn sie hören, dass Leser bei Merkurist Themen einbringen und darüber abstimmen können. Sie denken, dass kritischer Journalismus auf der Strecke bleibt und man vollkommen zum Dienstleister wird. Wie seht Ihr das? Ralf: Dass wir sehr stark Dienstleister sind, finde ich auch, sehe das aber gar nicht als Vorwurf. Das ist eine Tatsache, weil wir uns am Leser orientieren. Aber dass der kritische Journalismus auf der Strecke bleibt, finde ich nicht. Wir haben sehr viele kritische Snips und ich glaube, sämtliche Ansprechpartner in Mainz finden nicht, dass wir zu wenige kritische Fragen stellen.
Nicole: Was viele nicht wissen, ist, dass wir nicht nur Leserthemen auf der Seite haben. Wir haben auch als Redaktion noch eine gewisse Entscheidungshoheit. Wir haben in den letzten drei Jahren eine gewisse Erfahrung gesammelt und können bei einigen Themen schon vorher abschätzen, wie gut es bei unseren Lesern ankommt, warten also nicht ausschließlich darauf, dass Snips 100 Prozent erreichen. Manche Themen machen wir schnell, weil sie eben wichtig sind - auch sowas entscheiden wir als Redaktion. Bei heiklen Themen, die wir auch immer wieder haben, recherchieren wir sowieso vorab. Davon abgesehen schlagen auch unsere freien Autoren und wir selbst Themen als Snips vor. Das ist cool, weil wir dann sehen können, ob das nur für uns selbst oder auch für unsere Leser und für die Stadt ein Thema ist.
Ralf: Es kommt auch immer darauf an, womit man uns vergleicht. Ich würde Merkurist Mainz nicht mit der Zeit oder dem Spiegel vergleichen, denn die haben ganz andere Möglichkeiten und Mitarbeiterzahlen. Ich würde uns mit einer Lokalzeitung vergleichen, und die Mainzer Lokalzeitung hat genau wie wir Blaulicht, Verkehrsthemen, Geschäftseröffnungen und Co. Das gehört zum Lokaljournalismus einfach dazu, weil die Leser wissen wollen, was vor ihrer Haustür passiert. Und das ist nicht immer die große Reportage oder die große Hintergrundrecherche.
Mittlerweile gibt es Merkurist Mainz seit drei Jahren. Was hat sich an Eurem Standing in der Stadt verändert und was erhofft Ihr Euch für die nächsten drei Jahre? Ralf: Wir sind viel bekannter geworden. Wir müssen uns in der Regel nicht mehr vorstellen und erklären, wer Merkurist ist. Das heißt aber auch, dass wir immer mehr Kritiker haben und deutlich kritischer beobachtet werden als in unserer Anfangszeit. Früher waren die Kommentare bei Facebook noch „Cool, dass es jetzt ein neues Medium gibt“ oder „Danke, dass Ihr hier mal nachgefragt habt“, heute ist es auch mal „Warum macht Ihr Thema X, aber nicht Thema Y?“. Aber: Insgesamt sind wir deutlich bekannter und das macht das Arbeiten für uns leichter. Für die nächsten Jahre wäre es toll, dass es weiterhin so gut läuft, Merkurist deutschlandweit bekannt ist und das Merkurist-Netzwerk weiter wächst. Vielleicht wachsen wir auch als Team weiter und können so noch mehr Themen und tiefere Recherchen angehen.
Nicole: Wir sind nicht nur bekannter, sondern auch professioneller geworden. Je mehr Leser wir bekommen haben, umso größer wurde auch die Verantwortung – einen Text, den früher vielleicht ein paar hundert Mainzer gelesen haben, lesen heute ein paar Tausend. Viele Artikel, die wir in der Anfangszeit geschrieben haben, würden wir heute so nicht mehr veröffentlichen. Das heißt nicht, das alles Schrott war, was wir früher geschrieben haben – im Gegenteil, die Anfangsphase war sehr wichtig. Wir haben am Anfang sehr viel ausprobiert und davon gelernt. Wir konnten quasi gemeinsam mit Merkurist Mainz wachsen und sind heute anspruchsvoller, was die Qualität unserer Artikel angeht.
Danke Nicole und Ralf für das Gespräch!