Zum Überleben von Journalismus und Medienbranche: Wie Überleben allgemein funktioniert

Dieser Blogpost ist Teil 3 der Reihe „Ein mehrteiliges Plädoyer für mehr Leadership in Journalismus und Medienbranche“.

Zum Überleben von Journalismus und Medienbranche: Wie Überleben allgemein funktioniert

Hier geht es zum einleitenden Ausgangstext.Wie in meinen vorangegangenen Posts schon erläutert, halte ich es für nützlich und einsichtsreich, die Situation von Medienbranche und Journalismus als adaptive Herausforderung zu betrachten. Aber was heißt Adaption? Und was genau ist an der digitalen Herausforderung, der sich die Branche gegenübersieht, „adaptiv“?

Ich möchte, wie eigentlich immer in dieser Blogpost-Reihe, zunächst mit ein bisschen Theorie beginnen und diese dann anhand einiger Beispiele fassbar machen.

Warum „adaptiv“ und „Adaption“?

Der Begriff der Adaption kommt ursprünglich aus der Evolutionstheorie. Dahinter steht der Gedanke, dass sich Eigenschaften und Erbgut (DNA) angesichts veränderter Umweltbedingungen weiterentwickeln mussten und müssen, damit eine Art überlebt. In der Entwicklung von Tieren und Pflanzen sind solche Umweltbedingungen z. B. Veränderungen der Außentemperatur, die Entwicklung neuer natürlicher Feinde, Nahrungsmangel und vieles mehr. Diese Veränderungen üben stets einen Druck auf den Status Quo an Fähigkeiten und Eigenschaften einer Art aus und setzen – bestenfalls – die Evolution neuer Fähigkeiten in Gang. Schlimmstenfalls erfolgt die Adaption (oder: Evolution) nicht schnell oder umfänglich genug. Dann sterben Tiere und Pflanzen aus.

Sinnbildlich übertragen auf soziale Systeme müssen sich auch Familien, Organisationen, Gesellschaften und Branchen bei veränderten Umwelt- bzw. Rahmenbedingungen die Frage stellen (um zu überleben):

  • Welche neuen Fähigkeiten muss ich entwickeln?
  • Welche bisherigen Fähigkeiten benötige ich nicht mehr?
  • Wie muss sich daher meine DNA, d.h. mein Werte-, Glaubens- und mein Gewohnheitssystem, ändern?
  • Für welche „alte“ DNA gibt es keine Verwendung mehr?
  • Welche „neue DNA" muss entwickelt werden?

Auch für das Überleben von Journalismus und Medienbranche sind diese Fragestellungen zentral.

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Auch der Untergang früher Hochkulturen wird von einigen Wissenschaftlern auf die mangelnde, da nicht nachhaltigkeitsorientierte, Adaptionsfähigkeit dieser Gesellschaften auf klimatische, demographische und gesellschaftliche Veränderungen zurückgeführt (siehe z. B. Jared Diamond „Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen“ oder Focus „Der vorprogrammierte Kollaps von Hochkulturen: Droht unserer Zivilisation der Untergang?“, 25.04.2014)

Adaption ist kein einfacher Prozess und tut meistens weh

Viele Arten sind in der Geschichte der Welt an Adaption gescheitert. Anstatt sich zu verändern, verschwanden sie. Und so scheitern wir auch heute noch – wenn auch häufiger in kleineren Dimensionen – an adaptiven Herausforderungen.

Warum? Weil im Umgang mit dieser Art von Herausforderungen sogenannte „adaptive Arbeit“ vom System verlangt wird, also Anpassungsarbeit, bei der die Beteiligten miteinander verhandeln müssen:

  • Welche Teile ihrer DNA – ihrer Gewohnheiten, ihres Werte- und Glaubenssystems – sie behalten können
  • Welche Teile dieser DNA sie abstoßen müssen
  • Welche neuen Aspekte von DNA sie neu entwickeln müssen

Denn nur mit einer angepassten, adaptierten „DNA“ (im übertragenen Sinne) bleibt das System überlebensfähig. Dieser Aushandlungsprozess fordert Verluste. Und kein Mensch mag Verluste.

Adaption fordert Verluste. Und kein Mensch mag Verluste.

Wie von Verhaltensökonomen wie Daniel Kahnemann und Amos Tversky beschrieben und experimentell belegt, besteht bei Menschen eine so genannte „Verlustaversion“. 5 Euro, die wir verlieren könnten, sind uns mehr wert, als 5 Euro, die wir mit gleicher Wahrscheinlichkeit gewinnen könnten. Genauso verhält es sich mit Werten und Überzeugungen in der Auseinandersetzung mit adaptiven Herausforderungen: Wir mögen zwar rational verstehen, dass das Print-Geschäft nicht mehr das ist, was es vor 30 Jahren einmal war – dennoch ist der Verlust von Status, Arbeitsweise und Weltsicht, die mit dem Print-Geschäft verknüpft waren, erheblich wertvoller als die Chancen für Status, Arbeitsweise und Weltsicht, die der Digitaljournalismus mit sich bringen mag – ganz gleich, ob diese Chancen objektiv gleichermaßen „wertvoll“ sind oder nicht.

Wo in Journalismus und Medienbranche möglicherweise Adaption notwendig ist – und Verluste absehbar sind

Ein zentraler Unterschied zwischen technischen und adaptiven Herausforderungen (siehe auch Post hier) ist dabei unter anderem die Tatsache, dass adaptive Herausforderungen komplex und vielschichtig, oft zu Beginn noch gar nicht richtig fassbar sind. Technische Probleme hingegen haben Wiedererkennungswert; vor allem aber: Man weiß genau, wie man sie löst.

Betrachten wir nun die aktuelle Situation von Medienbranche und Journalismus im Kontext der Digitalisierung der Branche, sehen wir, dass viele Aspekte hiervon wahrscheinlich adaptiver Natur sind. Das heißt, sie verlangen Lernen und Anpassung von den Betroffenen. Ein paar Beispiele sind in nachstehender Tabelle aufgeführt, auf die ich in weiteren Blogposts vertieft eingehen möchte:

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Was aus der Ansicht oben deutlich wird:

  1. Natürlich hat die Branche auch eine ganze Reihe an technischen Herausforderungen zu bewältigen. Auch diese Herausforderungen sind wichtig. Sie sind jedoch bei weitem nicht so anstrengend wie die Auseinandersetzung mit adaptiven Herausforderungen. Zum Beispiel wenn es um die Änderung technischer Standards geht: Natürlich bereitet das oft ebenfalls wenig Freude. Gleichwohl ist es gut machbar und das einzige, was sich solchen Veränderungen in den Weg stellen kann, ist in der Regel ein Mangel an Ressourcen.
  2. Mit zahllosen adaptiven Herausforderung, die die Digitalisierung für Journalismus und Medienbranche mit sich gebracht hat, versucht man bislang genauso umzugehen, wie mit technischen Problemen: Man versucht, einfache Lösungen auf hochkomplexe, zum Teil noch nicht einmal vollkommen verstandene Probleme zu finden. Anstatt die Komplexität der Herausforderung anzuerkennen und sich der Lern- und Adaptionsnotwendigkeit zu stellen, werden diese Herausforderungen technisch behandelt– ein bisschen wie Schürfwunden, die lediglich einer schnellen Desinfektion und eines Pflasters bedürfen (ein Klassiker unter den technischen Problemen dieser Welt: Die Herausforderung ist leicht feststellbar – Schürfwunde – die Lösung eindeutig – Desinfektionsspray und Pflaster)

Auf letzteren Aspekt, nämlich die Art und Weise, wie wir der Auseinandersetzung mit adaptiven Herausforderungen und der Notwendigkeit von Lernen und Adaption am liebsten aus dem Weg gehen, gehe ich in meinem nächsten Post "Warum und wie wir Lernen und Veränderung vermeiden" näher ein.

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