Wo mehr Leadership in Medienbranche und Journalismus nötig ist und warum

Dieser Blogpost ist Teil 6 der Reihe „Ein mehrteiliges Plädoyer für mehr Leadership in Journalismus und Medienbranche“.

Wo mehr Leadership in Medienbranche und Journalismus nötig ist und warum

Hier geht's zum einleitenden Ausgangstext. Endlich bin ich so weit, dass ich die wichtigsten Konzepte des Adaptive-Leadership-Ansatzes (den Unterschied zwischen technischen und adaptiven Herausforderungen, das Konzept von Veränderung durch Adaption, die Logik des Lernens von Gruppen bzw. sozialen Systemen) eingeführt habe, um ein bisschen mehr zum Eingemachten zu kommen und wahrscheinlich dem, was wirklich von Interesse ist: Wo, denkt die Conrad, braucht es denn bitte mehr „Leadership“ in Journalismus und Medienbranche?

Die kurze Antwort ist: Überall dort, wo sich alle, die sich im weitesten Sinne zur Branche zählen, bislang vor adaptiver Arbeit gedrückt haben.

Wir brauchen mehr Leadership dort, wo wir uns vor Adaption und Lernen bislang lieber drücken

Nachstehend führe ich eine kleine Auswahl an Fragestellungen auf, wo dies in meinen Augen für Journalismus und Medienbranche in vielerlei Hinsicht der Fall ist. Wohlgemerkt lässt sich hie und dort bereits einiges an „Leadership“ – im Sinne von Adaptive Leadership, wie in diesem Post zur Logik von Lernen, Veränderung und Leadership definiert – beobachten. Gleichwohl überwiegen meines Erachtens immer noch Handlungen, um adaptiver Arbeit lieber aus dem Weg zu gehen. In anderen Worten: Wir, die Branche, der Journalismus, könnte schon viel weiter sein, gäbe es mehr Leadership und mehr Mut, sich mit der unangenehmen Realität zu konfrontieren und einem kollektiven, anstrengenden Lernprozess auszusetzen.

Betrachten wir dafür ein paar Beispiele konkreter:

  • Herausforderung des Vertrauensverlusts der Medien durch die Öffentlichkeit
  • Herausforderung der Monetarisierung von Journalismus
  • Herausforderung „faire Vergütung“ für Journalisten
  • Herausforderung Filter Bubble
  • Herausforderung Google, Facebook & Co – Friend or Foe? Was haben diese Herausforderungen gemein? In meinen Augen qualifizieren sie sich alle als so genannte „Adaptive Herausforderungen“, d. h. sie
  • sind schon in ihrer Problemdefinition schwer zu fassen und hoch komplex,
  • haben keine einfachen Antworten – obwohl alle ständig versucht sind, einfache Antworten zu formulieren – und
  • ihre Überwindung obliegt keinem einzelnen, keiner Autorität sondern vielen, wenn nicht gar allen von der Sachlage Betroffenen. (Eine detailliertere Erläuterung des Konzepts der adaptiven Herausforderung im Unterschied zu technischen Problemen ist in diesem Blogpost zu finden).

Verschiedene Lager, verschiedene Perspektiven, verschiedene Werte

Ebenso haben diese Herausforderungen gemein, dass sie sich in einem Kontext manifestieren, der von höchst diversen „Lagern“ mit teils stark unterschiedlichen Perspektiven und zugrunde liegenden Wertvorstellungen geprägt ist. Diese Perspektiven- und Wertekonflikte können produktiver Motor für Lernen und Adaption sein, ihnen wird aber eben auch gerne aus dem Weg gegangen.

Betrachten wir beispielsweise das Thema des Vertrauensverlusts gegenüber den Medien. Hier würde ich mindestens folgende „Lager“ mit unterschiedlichen Perspektiven auf die Problematik und zugrunde liegenden Wertsystemen unterscheiden: - Das „Uns betrifft’s nicht“-Lager, dem u. a. ein paar öffentlich-rechtliche Fernseh- und Rundfunkanstalten angehören, zumindest wenn man sich Beiträge wie diesen durchliest: Die drei „Kernaussagen“, die als Schlussfolgerungen aus zentralen jüngeren Studien zu ziehen seien, sind laut ARD vor allem die Existenzberechtigung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, da dieses eine positive Auswirkung auf das Vertrauen in die Medien habe. Die Werte, die dieser Perspektive zugrunde liegen, sind offensichtlich: - ''Das Öffentlich-Rechtliche muss erhalten bleiben." Denn es geht da immerhin um die Jobs der Personen, die sich dem Lager zugehörig fühlen (siehe auch: "Zum Überleben von Journalismus und Medienbranche: Wie Überleben allgemein funktioniert" und "Warum und wie wir lernen und Veränderung vermeiden"). - Das Öffentlich-Rechtliche ist eine gute Sache." Das ist eine Wahrheit, an die glauben Vertreter des „Uns betrifft’s nicht“-Lagers oft seit vielen Jahrzehnten. - Das „So schlimm ist es nicht – sind schließlich nur die Rechten“-Lager: Dieses Lager reduziert die Herausforderung des Vertrauensverlusts auf eine Randgruppe in der Gesellschaft. Der Durchschnitt der aufgeklärten Allgemeinheit habe Vertrauen in die Qualitätsmedien – den Leuten von Pegida und der AfD sei eben nicht zu helfen. Die zugrunde liegenden Werte der Perspektive dieses Lagers sind wahrscheinlich u. a. eine Angst vor dem Glaubwürdigkeits- und Kompetenzverlust. - Das „Also ich weiß auch nicht, was wir anders machen sollen“-Lager. Dieses Zitat wird zwar wahrscheinlich eher in die Annalen eingehen als Angela Merkels Ausspruch nach den Bundestagswahlen 2017; jedoch scheint der Satz auch die Haltung mancher innerhalb der Medienbranche gut zu erfassen: „Was sollen wir denn bitte anders machen? Haben wir wirklich irgendetwas falsch gemacht?“

Interessanterweise kann man oft schon dadurch schlauer werden, indem man nur versucht, das gesamte System mit allen seinen unterschiedlichen Lagern besser zu verstehen. Denn in der Tat tendieren wir dazu, einzelne "Lager", d. h. Gruppen von Menschen, mit einer bestimmten Perspektive auf eine Herausforderung, auszublenden, wenn sie uns zu weit weg oder zu fremd erscheinen.

In gewisser Weise ist das die Dynamik, das willentliche Ausblenden von Lagern und Perspektiven im System, die mitunter zur Entstehung so genannter "Echokammern" oder** "Filter Bubbles"** führt.

Wir tendieren dazu, einzelne "Lager" mit einer bestimmten Perspektive auf eine Herausforderung auszublenden, wenn sie uns zu weit weg, zu fremd oder zu unangenehm erscheinen

Im Fall des Vertrauensverlusts in die Medien können wir also beginnen und uns fragen: Welche Lager haben wir oben noch nicht aufgeführt? An welche Lager haben wir bislang vielleicht sogar noch gar nicht gedacht?

Folgende weitere Lager würde ich benennen wollen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

  • Ein „Die haben völlig recht – ich bin zwar Teil der Medienbranche, würde mir selbst aber auch nicht über den Weg trauen“-Lager. Wer weiß was über dieses Lager? Ich bin der recht starken Überzeugung, dass es dieses Lager gibt, dass sich dieses Lager nur im öffentlichen Diskurs zur Vertrauenswürdigkeit der Medien eher selten zu Wort meldet. Doch auch wer nicht redet und nicht laut ist, spielt für die größeren Dynamiken eines Systems eine Rolle.
  • Ein „Wie soll ich den Medien vertrauen, wenn die immer nur dasselbe Lied singen und die, die ich gut finde, schlecht reden“-Lager. Über dieses Lager wird in meiner Wahrnehmung häufiger gesprochen. Die dominierende Haltung hier ist jedoch eher eine, die sich in Ursula von der Leyens Statement am Wahlabend wiederspiegelt: „Wir müssen die Menschen besser abholen!“ (kein wortwörtliches Zitat) Was meines Erachtens vielen bei der Betrachtung dieses Lagers und dessen Perspektive auf die Situation fehlt, ist eine wahre Empathie und ein wahrhaftiges Fragen danach: „Inwieweit ist die subjektive ‚Wahrheit‘ dieses Lagers tatsächlich ein bisschen ‚wahr‘?“
  • Ein „Es ist schon seltsam, dass ‚politisch korrekt‘ und ‚medial korrekt‘ immer häufiger zusammenfallen“-Lager. Auch dieses Lager gibt es, da bin ich überzeugt. In der Auseinandersetzung mit adaptiven Herausforderungen fällt es uns tendenziell immer schwerer, uns mit Lagern zu befassen, die eine andere Perspektive und ein anderes zugrunde liegendes Wertesystem haben.

Doch genau hier, im Konflikt dieser Perspektiven und Werte, kann großes Lern- und Entwicklungspotenzial liegen. Denn in diesen Konflikten ist in der Regel die Herausforderung vergraben, die nach mehr Leadership verlangt. Zum Beispiel mehr Leadership in Medienbranche und Journalismus.

Anregungen dafür, wie man sich mit solchen Konflikten auseinandersetzt und wie besser nicht, möchte ich in meinem nächsten Post "Anti-Leadership: Wenn wir versuchen, uns mit einfachen Antworten rauszureden" geben.

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