Warum und wie wir lernen und Veränderung vermeiden

Dieser Blogpost ist Teil 4 der Reihe „Ein mehrteiliges Plädoyer für mehr Leadership in Journalismus und Medienbranche“.

Warum und wie wir lernen und Veränderung vermeiden

Hier geht's zum einleitenden Ausgangstext. Eines der wichtigsten Probleme im Umgang mit adaptiven Herausforderungen, wie im Unterschied zu technischen Problemen in zwei vorangegangenen Posts definiert (siehe hier und hier), ist am besten in den Worten von Ronald Heifetz, dem Kopf hinter dem Adaptive-Leadership-Ansatz, wiedergegeben:

„The most common pitfall is treating adaptive challenges like technical ones.“

Adaptive Herausforderungen wie technische Probleme zu behandeln gilt allgemein als der häufigste Fallstrick, wie die tatsächliche Konfrontation mit unangenehmen Tatsachen, die Veränderung, Lernen und Adaptionen erfordern, hinausgezögert werden.

Erfolgsfall NYTimes – eine willkommene Ablenkung von adaptiver Arbeit?

Wir sollten also aufhören, die akuten Herausforderungen in Journalismus und Medienbranche als kleine Kratzer abzutun, die lediglich eines Pflasters bedürfen. Oder noch besser: so zu tun, als sei ein „weiter so“ oder gar ein „Business wie immer/früher“ die Antwort auf alle offenen Fragen. Diesen Eindruck hinterlässt zumindest manche Berichterstattung über Traditions-Vorzeigekinder der Branche: Erst vor ein paar Tagen, am 4.12., schrieb so MEEDIA über den diesjährigen Preisträger des Marion-Gräfin-Dönhoff-Preises , die New York Times. Wie aus den Feierlichkeiten der Preisverleihung hervorging habe diese heute „mehr Abonennten als in Print-Zeiten“.

Wie hatte sie das geschafft? Ganz einfach! Weil sie vor ein paar Jahren „drei Wetten auf die Zukunft“ gemacht habe – und natürlich alle drei gewonnen hat. Die Wetten seien gewesen: stärkere überregionale Ausrichtung, klares Bekenntnis zu Qualität („kein rabiates Ausdünnen der Redaktionen“), und drittens: die Paywall.

Das ist, ganz klar, Musik in den Ohren aller Journalisten, denen es am liebsten wäre, die Welt wäre Mitte der neunziger Jahre stehen geblieben. Die Story der New York Times hilft insofern vor allem all jenen, die Veränderung vermeiden möchten. Und natürlich der New York Times in ihrem Außenmarketing als großartiger Arbeitgeber und Epitom des so genannten „Qualitätsjournalismus“ (wie ich grundsätzlich zu diesem Begriff stehe, habe ich vor ein paar Monaten übrigens hier aufgeschrieben).

Was helfen uns die einfachen Antworten, die wir hören möchten?

Was hilft es uns? Eher wenig. Vor allem hilft es uns dabei, der Auseinandersetzung mit den adaptiven Herausforderungen von Journalismus und Medienbranche aus dem Weg zu gehen. Denn die Story der New York Times sagt uns ja vor allem eins: Herausforderungen? Wo denn! Ein "weiter so" nach den Prämissen der Branche des 20. Jahrhunderts funktioniert doch. Die Leute sind doch bereit, zu zahlen. Große Redaktionen für viel investigativen Journalismus sind möglich und bezahlbar, wenn man nur will.

Das ist zumindest das, was die New York Times Story versucht, zu erzählen.

Das Problem daran: Die Darstellung des Erfolgsfalls der New York Times ist vor allem eins – Augenwischerei vom Feinsten. Die Erfolgsstory der New York Times ist nämlich vor allem eine gute Story. Erwähnt sie die ganzen Fehltritte, die Zweifel auf dem Weg? All die Unruhe, das Unbehagen und die Opfer, inklusive Entlassungen, die auf dem Weg bis zum heutigen Tag entstanden sind? Die Tatsache, dass sich das Modell der New York Times auf wahrscheinlich keine zweite Zeitung in der Welt übertragen lässt? Nein.

Drei Wetten auf die Zukunft hat die New York Times nie gemacht. Sie hat wahrscheinlich 100 Wetten gemacht und davon drei gewonnen.

So dient das New-York-Times-Märchen uns anderen, die nicht Arthur O. Sulzberger Jr. oder Dean Baquet heißen, vor allem als eines: Als technisches Placebo, um uns nicht mit unserem eigenen Veränderungsdruck und dem unserer Häuser auseinandersetzen zu müssen; um dringende Veränderung vermeiden zu können.

Wir, die Branche, der Journalismus – wir brauchen mehr als einen technischen Fix

Denn die Digitalisierung und die damit einhergegangenen veränderten Medienkonsumgewohnheiten erfordern mehr als das Lesen von Märchen, ein Wegschauen und ein "weiter so": Sie erfordern von uns eine Veränderung von Haltung und Wertegerüst – von unserer „DNA" – des gesamten Systems, der gesamten Branche und aller daran Beteiligten (siehe auch diesen Post zum Thema Veränderung, Lernen und Überleben).

Menschen sind laufend versucht, adaptive Herausforderungen wie technische Probleme zu behandeln

Am liebsten haben wir Menschen natürlich gar keine Probleme. Wenn dann aber welche kommen, dann sind uns solche am liebsten, die Heifetz et al. als „technisch“ bezeichnen würden. Sie lassen sich klar definieren und eingrenzen, sie haben eine eindeutige Antwort und wir wissen, wer uns die Antwort liefern kann: Experten! So ist es, wenn wir einen Herzinfarkt haben (Bypass!), wir uns 20kg Übergewicht zugelegt haben („Die Wunder-Abnehmpille!“) – aber auch, wenn uns als Verlag die Auflagen einbrechen.

Technische Lösungsversuche für adaptive Herausforderungen sind zum Scheitern verdammt.

Technische Lösungsversuche für adaptive Herausforderungen sind zum Scheitern verdammt. Bei adaptiven Herausforderungen helfen keine einfachen, klaren Antworten, keine Pflaster, keine Wundermittel. Das einzige, was helfen kann: die Auseinandersetzung mit der Komplexität des Problems und ein wahres Bemühen darum, sich selbst und das restliche betroffene System in einen ehrlichen adaptiven Arbeitsprozess zu begeben.

Wie ein solcher adaptiver Arbeitsprozess genau aussieht, ist Gegenstand meines nächsten Blogposts "Die Logik von Lernen, Veränderung und Leadership. In und jenseits der Medienbranche".

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