Journalistisches Selbstverständnis vs. Innovationsbereitschaft

In welcher Rolle sehen sich Journalisten? Und wie ändert sich diese mit der fortschreitenden Digitalisierung?

Journalistisches Selbstverständnis vs. Innovationsbereitschaft

"Ich sehe meine Aufgabe als Journalist darin, die Leser umfassend, aber objektiv zu informieren und ihnen Zusammenhänge zu vermitteln. Dabei lege ich höchsten Wert auf eine gründliche Recherche und eine professionelle Aufbereitung der Artikel. Ich stecke viel Arbeit und Herzblut in die Texte, die auch sprachlich von hoher Qualität zeugen. Dafür stehe ich schließlich mit meinem Namen. Die Leser sollen meine Artikel gerne lesen und vielleicht sind sie bald auch von mir persönlich als Journalist überzeugt." So oder so ähnlich könnte das Statement eines Journalisten über sein berufliches Selbstverständnis aussehen. Ein Selbstverständnis, das sich schon lange hält und nostalgische Bilder von Journalisten in Trenchcoats, mit Hut und vollgeschriebenen Notizbüchern vor einer altertümlichen Schreibmaschine hervorruft. Aber mit den Entwicklungen der Digitalisierung müssen Journalisten ihr berufliches Selbstverständnis überdenken.

Alles neu macht die Digitalisierung

Die Digitalisierung hat die Medienbranche verändert. Besonders Zeitungsverlage und Journalisten müssen sich auf die neuen Umstände einstellen. Was zu Print-Zeiten als effektiv und erfolgreich galt, muss heute nicht mehr gut sein. Die Anzeigenwirksamkeit ist für viele Kunden nicht transparent genug, Gratismedien wandern von der Postrolle ins Altpapier, nach Veranstaltungs- und Restaurant-Tipps sucht man im Internet und den Sozialen Medien und zwischen Lesern und Redaktion gibt es höchstens müden, wenn nicht sogar gar keinen Austausch. Um diese geschäftsschädigenden Konsequenzen abzufedern, müssen sich Verlage, ihre Redaktionen, aber auch jegliche freie Journalisten auf Veränderungen einlassen.

Die Veränderungen, die neuen Anforderungen an Journalisten, fasst Luca Caracciolo für t3n zusammen: "Der ideale Artikel ist nicht zu lang, hat eine perfekte Headline, die sowohl zum Teilen anregt als auch SEO-tauglich ist. Weiterhin ist ein Quiz eingebaut, das der Journalist selbst programmiert hat. Am besten macht er einen Snap auf Snapchat während er die Geschichte schreibt und lässt mit einem zweiten Smartphone einen Periscope-Stream laufen. Nach der Veröffentlichung trommelt der Autor auf Facebook, Twitter und Co, um anschließend eine Stunde mit den Lesern zu diskutieren. Schließlich schreibt er nach dieser Diskussionsphase den Artikel nochmals um und verteilt ihn erneut auf den sozialen Kanälen, Republish auf der Homepage inklusive."

Das ist recht spitz formuliert, trifft aber den Kern. Denn: Die Anforderungen an Journalisten haben sich geändert. Journalisten müssen nun auch digital affin sein, sie sollen Spaß an Sozialen Medien und Verständnis für Onlinemarketing mitbringen. Journalisten müssen sich aus ihrer Komfortzone herauswagen und offen für moderne, digitale Workflows sein. Nostalgisch dem eingestaubten Verlagsalltag hinterherzutrauern wird niemanden voranbringen. Jetzt und in Zukunft werden mehr Visionäre, Querdenker, Kreative und Mutige gebraucht, die den Wandel der Medienbranche nicht nur akzeptieren, sondern ihn leben und bedienen.

Neue Herausforderungen an klassische Verlage

Mit der Digitalisierung fließen neue Denkansätze und angepasste Arbeitsweisen in die Medienwelt ein. Das Internet ist schnelllebig, Informationen müssen aktuell, schnell auffindbar und leicht zu konsumieren sein. Der Internetnutzer ist verwöhnt und daran gewöhnt, Informationen in angenehmen Häppchen serviert zu bekommen. Ansonsten machen sich die Leser selbst auf die Suche und recherchieren auf eigene Faust.

Bezahlen wollen dabei aber wenigsten Leser für die Inhalte, schon gar nicht, wenn sie online zur Verfügung stehen. Klassische Print-Zeitungen können nicht alle diese Anforderungen in ihrer Gänze bedienen und müssen teils starke Umsatzeinbrüche verzeichnen. Sie haben in der Regel noch kein angepasstes Digitalkonzept, mit dem sich mit Nachrichten Geld verdienen lässt. Die Konsequenzen: Einsparungen, Qualitätsverluste, unzufriedene Leser, unfaire Journalistenhonorare, befristete Verträge und Co. lassen grüßen.

Kein Platz für ein dickes Ego

Auch der einzelne Journalist muss sich auf grundlegende Änderungen seines Berufsbildes einstellen. Die meisten haben ein ziemlich konkretes Selbstverständnis ihres Berufs und idealistische Vorstellungen ihrer gesellschaftlichen Rolle. Der investigative Journalist, der objektiv berichtet und den Lesern ohne Meinungsfärbung Themen und Zusammenhänge erklärt, kurz: sie aufklärt. Statista hat 2014 erhoben, dass rund 91 % der Journalisten ihre Aufgabe vordergründig darin sehen, "komplexe Sachverhalte zu erklären und zu vermitteln." Das ist ja auch gut und richtig so. Aber leider wird das allein in Zukunft nicht mehr genügen, um sich als fester oder freier Journalist über Wasser halten zu können.

Vielleicht liegt die Hauptaufgabe des Journalisten bald gar nicht mehr darin, Texte zu schreiben? Was wäre, wenn Texte nicht mehr von Redakteuren, sondern mit Hilfe von Algorithmen und künstlichen Intelligenzen verfasst würden? In diesem Falle wird der Journalist vom Schreiber zum Finder, Multiplikator und Moderator von Themen. Er wird seine Rolle als Gatekeeper oder zumindest als Gatewatcher stärken, aber wird möglicherweise nicht mehr der sein, der mit Leidenschaft die sprachlich perfekt abgestimmte Reportage schreibt.

Ganz ehrlich: Das muss man erst einmal mit seinem Ego vereinbaren. Zwar wird der Journalist nicht ersetzt oder in seiner Relevanz gemindert, aber er muss sich möglicherweise mit Aufgaben anfreunden, die dem Konzept des klassischen Journalismus entgegenstehen – mehr online, mehr digital, mehr sozial, mehr auf Wirtschaftlichkeit bedacht heißt dann die Devise. Sich mit der Monetarisierung auseinanderzusetzen, bereitet vielen Journalisten Bauchschmerzen. Für viele ist dies ein leidvolles Thema, womit man sich nur ungern beschäftigt. Am einfachsten wäre es, sich auf das Geschäftskonzept des Großverlags zu verlassen – aber sich damit vom Verlag und seiner Auftragslage abhängig zu machen. Besonders als freier Journalist sollte man sich stets selbst überlegen: Wie schaffe ich mit meiner Arbeit Mehrwert und wie lässt sich dieser monetarisieren?

Selbstverständnis mindert Innovationsbereitschaft

Und genau dieses starke Selbstverständnis und Ego hindert viele daran, über den Tellerrand hinauszublicken und sich ernsthaft Gedanken zu machen, was passiert, wenn das Konzept des Großverlags nicht mehr aufgeht. Man verschließt lieber die Augen davor und hält an alten Werten und Arbeitsabläufen fest à la "Das haben wir schon immer so gemacht, und so machen wir das auch weiterhin!" Diese Trägheit gegenüber Innovationen und der Digitalisierung ist nicht gesund und kann im Wettstreit der vielfältigen Medienangeboten den Langsameren das Genick brechen.

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