Content Automation, Roboterjournalismus – Gefahr oder Chance für den Journalismus?

Könntest Du Dir vorstellen, dass dieser Text, den Du gerade liest, nicht von Menschenhand geschrieben wurde, sondern von einem Roboter?

Content Automation, Roboterjournalismus – Gefahr oder Chance für den Journalismus?

Content Automation und Roboterjournalismus sind keine Seltenheit mehr. Viele Redaktionen haben sich bereits "geoutet" wie beispielsweise "Forbes", "New York Times" oder "Los Angeles Times". Sie veröffentlichen einige Artikel, die automatisch generiert wurden, berichtet die FAZ. Ich kann Dich beruhigen. Dieser Text stammt tatsächlich von mir, einem Menschen. Denn wäre er von einer künstlichen Intelligenz verfasst – wer weiß – wäre der Artikel womöglich besser! "Welche Chancen und Gefahren birgt Content Automation eigentlich für den Journalismus?", haben wir uns gefragt – und sind zu diesem Ergebnis gekommen:

Was bedeutet Roboterjournalismus?

Journalistische Texte, die von einer künstlichen Intelligenz automatisch und basierend auf Algorithmen erstellt werden, zählt man zum Roboterjournalismus. Unabhängig von einer bestimmten Textgattung nennt man die automatische Erstellung von Texten auch Content Automation. Das bedeutet, dass anhand von Daten Texte generiert werden, die den von Menschenhand verfassten Texten oftmals in nichts nachstehen – nein, sogar häufig noch besser sind. Künstliche Intelligenzen schaffen es, eine sinnvolle und "durchdachte" Semantik zu schaffen, sodass man im besten Falle nicht unterscheiden kann, ob der Text nun von einem Menschen oder einer Maschine erstellt wurde.

Es gibt bereits zahlreiche Unternehmen, die professionelle Tools zur automatisierten Textgenerierung programmieren. Eines davon ist "Retresco", das 2008 in Berlin gegründet und 2017 bereits beim amerikanischen World Summit Award (WSA) Gewinner der Kategorie "Business & Commerce" wurde.

Retresco bietet ihren Kunden mit der rtr textengine automatisierte Texterstellung an. Dabei kann es sich um journalistische Texte, beispielsweise im Bereich Sport, Wetter oder Finanzen, aber auch E-Commerce-Texte wie zum Beispiel Produktbeschreibungen für Onlineshops handeln. Wie kann es sein, dass Programme nahezu perfekte Texte verfassen? "Sie schaffen es nur für bestimmte Arten von Texten, für faktenbasierte Routinetexte. Also Texte, die auf Daten basieren und die von der Struktur immer gleich oder ähnlich aussehen", sagt Sebastian Golly von Retresco in einem Interview für drehscheibe.org.

Welche Vorteile bieten computergenerierte Texte?

Das klingt nach einer schnellen und einfachen Art, Texte zu erstellen. Man benötigt lediglich die Daten, was bedeutet, dass eine Recherche zwar noch nötig wird (sofern die Daten nicht einfach aus einer Datenbank gezogen werden), aber die komplette Texterstellung abgenommen wird. Welche konkreten Vorteile bietet also Content Automation?

  • Weniger Flüchtigkeitsfehler passieren, da Rechtschreibprüfung integriert ist.
  • Programme schaffen klare Textstrukturen.
  • Robotexte haben einen klaren Satzbau.
  • Computergenerierte Texte bringen SEO-Vorteile, da Keywords intelligent eingebunden werden können.
  • Automatisierte Texterstellung ist skalierbar, Erfolge lassen sich berechnen.
  • Die Redaktion spart Zeit, da mehr Content in weniger Zeit produziert wird.
  • Content Automation bedeutet Kostenersparnis, da weniger Ressourcen wie Personal oder Zeit benötigt werden.
  • Diese Ressourcen können dann sinnvoller eingesetzt werden.
  • In der Regel sind Robotexte nicht von Texten aus menschlicher Hand zu unterscheiden.

Texte von künstlichen Intelligenzen – eine Gefahr für den Journalismus?

Dennoch sind die Möglichkeiten der Textautomaten limitiert:

Zum einen funktioniert der Roboterjournalismus nur für datenbasierte Texte, die einen übertragbaren Aufbau haben wie Wetterberichte oder Informationen zu Fußballspielen. Zum anderen haben künstliche Intelligenzen ein anderes Sprachgefühl als ein Mensch. "Sprachliche Kreativität, Assoziation, Intellektualität sind für Computer nach wie vor unerreichbar", schreibt Bernd Graff für die Süddeutsche. Zwar könnten so zeitraubende, aber eintönige Artikel an Roboter "outgesourced" werden, aber sprachlich anspruchsvolle Texte mit Wortwitz, Bildhaftigkeit, Hintergrundinformationen sowie Zitaten sind noch nicht automatisierbar.

Zudem haftet dem Roboterjournalismus durch häufige Kritiken – sowohl von Leser- als auch von Autorenseite – ein negativer Beigeschmack an. Leser fühlen sich häufig "abgespeist", wenn sie einen computergenerierten Text zu lesen bekommen. Sie wissen, dass sich kein Mensch dafür Zeit genommen hat, sondern eine Maschine mit Daten jongliert und Wörter ausgespuckt hat. Der persönliche Charakter eines Artikels geht dadurch verloren. Außerdem ist die Bereitschaft für Onlinenachrichten zu bezahlen noch geringer, wenn Leser wissen, dass die Texte möglicherweise automatisch erstellt wurden. Allerdings bleibt zu bezweifeln, ob Leser den Unterschied zwischen einem von einem Journalisten verfassten Artikel und einem Robotext bemerken würden.

Journalisten fühlen sich von Content Automation häufig bedroht. Schließlich könnten sie – zumindest, wenn es um anspruchslosere, nüchterne Texte geht – einfach von einer Maschine ersetzt werden. Ein Artikel, für den der Journalist vielleicht eine halbe Stunde einplanen muss, könnte der Roboter in wenigen Minuten oder sogar Sekunden erarbeiten. Werden die Programme zur automatischen Texterstellung intelligenter und besser, stehen sie auf jeden Fall in starker Konkurrenz zum Journalisten. Dieser wäre nicht mehr der kreative Schreiberling, sein Aufgabenfeld würde sich mehr in das Redaktionsmanagement wie Themenrecherche oder Faktenvalidierung verschieben. Es fände also eine Rollenverschiebung des Journalisten statt (dazu mehr in unserem Whitepaper zum "Journalist 2030".

Warum automatisch erstellte Texte möglicherweise besser sind als die von Menschenhand geschriebenen

Christian Deutsch fasst auf seiner Homepage "Deutsch-Werkstatt" passend zusammen, warum Roboterjournalismus den Texten von Menschenhand häufig das Wasser reichen kann:

  • Programme können Texte intelligent strukturieren und auswerten, an welchen Stellen im Text Abschnitte Sinn machen oder wie Sätze aufgebaut sein sollten.
  • Ein professioneller Sprachstil ist möglich, indem beispielsweise Wortwiederholungen vermieden werden, Satzanfänge variieren usw.
  • Verschiedene Textversionen auf Knopfdruck ermöglichen A-B-Testings bei Artikeln, um zu ermitteln, welche Artikel warum besser laufen.
  • Die Textlänge kann eingestellt werden: kurz und prägnant oder ausführlicher.
  • Auch Robotexte können verschiedene Positionen einnehmen und aus unterschiedlichen Blickwinkeln berichten.

Natürlich können intelligente Satzstrukturen, abwechslungsreiche Wortwahl und Perspektivenwechsel ebenso aus der menschlichen Feder kommen. Vermutlich auch mit mehr Kreativität und "Einfühlungsvermögen". Die analytische Herangehensweise an Texte, also nahezu auszurechnen, welche Texte gut funktionieren und warum, liegt den Maschinen besser. Da muss man ehrlich sein.

Wir werden uns langfristig damit abfinden müssen, dass es technologisch weitergehen wird. Und das ist auch gut so. Wir müssen lediglich lernen, mit diesen Veränderungen umzugehen und sie für uns nutzen. Das gilt auch für automatisierte Texterstellung.

Wie siehst Du das? Glaubst Du an eine computergenerierte Textwelt der Zukunft? Wie, glaubst Du, wird sich die Rolle des Journalisten dadurch verändern?

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