Anti-Leadership - oder: Die "Mit-einfachen-Antworten-rausreden"-Taktik

Dieser Blogpost ist Teil 7 der Reihe „Ein mehrteiliges Plädoyer für mehr Leadership in Journalismus und Medienbranche“.

Anti-Leadership - oder: Die "Mit-einfachen-Antworten-rausreden"-Taktik

Hier geht es zum einleitenden Text. Natürlich ist es anstrengend, sich insbesondere mit solchen Perspektiven und Wertvorstellungen auseinanderzusetzen, die im Konflikt mit den eigenen stehen. Doch ist das Ignorieren dieser Konflikte auch keine tragfähige Alternative. Die Konflikte bleiben nämlich bestehen, selbst wenn man sie ignoriert (oh Wunder). AfD-Wähler zu verurteilen wird diese Leute nicht dazu bringen, ihre Meinung zu ändern oder sich reuevoll in eine Ecke zu stellen. Möglicherweise eher das Gegenteil. Genauso verhält es sich mit adaptiven Herausforderungen in der Medienbranche:

Beispiel 1 – „In der Flüchtlingskrise haben die anderen immer noch einen schlechteren Job gemacht als wir“

Als Zeitung oder Sender beispielsweise so zu tun, als sei man immerhin noch vertrauensvoller als der Rest, ändert nichts an der Tatsache, dass auch die eigenen Vertrauenswerte runtergegangen sind. Stattdessen ist es einfach eine Vermeidung von Lernen bzw. adaptiver Arbeit (siehe auch “Warum und wie wir Lernen und Veränderung vermeiden"). Entsprechend unproduktiv – im Sinne von Leadership empfand ich die Aufarbeitung der FAZ zu den Studien der Otto-Brenner Stiftung und der Uni Mainz zur Rolle der Medien während der Flüchtlingskrise: "Ja, die Medien haben einen schlechten Job gemacht. Aber immerhin waren wir noch besser als das Fernsehen..."

Hiermit gibt sich die FAZ eine viel zu einfache Antwort auf eine viel kompliziertere Frage.

Die bessere Haltung wäre, sich zu fragen: Welche Überzeugungen und Werte haben uns zu unserem Handeln damals verleitet und inwiefern müssen wir diese hinterfragen, um unseren Job (wieder) besser zu machen?

Beispiel 2 – „Böses Google und Facebook“ vs. Tracker-Party auf Nachrichtenseiten

Ebenso nehme ich es als „Vermeidung adaptiver Arbeit“ wahr, wenn Verlage zwar einerseits das Lied des „bösen Googles und Facebooks“ singen, sich aber willentlich vollkommen den beiden Datenmächten ausliefern. Ein Beispiel dafür ist der Artikel im Handelsblatt vom 27.10.2017 „Die Unheimliche Macht – Wie Google, Facebook & Co Milliarden mit unseren Daten verdienen“, in dem ein düsteres Bild der Internetmonopolisten gezeichnet wird. Schaut man sich dann aber Handelsblatt.com an, glänzt die Seite vor allem dadurch, dass es alle Daten, die über die eigene Website erhoben werden, sehr willentlich an mehrere Dutzende Internetdienstleister, Facebook und Google inklusive, weitergibt. Mit insgesamt 62 Trackern (laut Ghostery) liegt handelsblatt.com damit sogar weit über dem Branchendurchschnitt (siehe auch meinen Blogpost zum Thema Nutzerdaten-Tracking).

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Ein weiteres Beispiel sind die immer wieder erfolgenden Attacken der großen Verlagschefs gegenüber den „gnadenlosen Plattformökonomien“ von Google und Facebook – denen sie sich gleichzeitig eben unterwerfen, ohne auch nur über tragfähige Alternativen nachzudenken. Hierfür sei beispielhaft die Aussage des Burda-Chefs Kallen im Juli zum Thema zitiert und gleichzeitig auf die zahllosen Daten-Fresser-Plugins auf Seiten wie Focus verwiesen.

Dass Alternativen möglich sind, d. h. ein aufgeklärter Umgang, in dem man Plattformmonopolisten weder verteufeln, noch sich in eine vollständige Abhängigkeit von ihnen begeben muss, das zeigen meines Erachtens wir von Merkurist.

Beispiel 3 – Mit Faktenchecks gegen Fake News

Mit so genannten „Faktencheck“-Teams warten einige Medienhäuser und Redaktionen seit einigen Monaten gegen das Phänomen der Fake News auf. Wie Stephan Russ-Mohl im Tagesspiegel dazu neulich kommentierte: „Da stellt sich die Frage, was denn bislang all die anderen Journalisten machen und gemacht haben, wenn es solcher Spezialeinheiten bedarf.“

Ich würde mich dem anschließen und in Adaptive-Leadership-Terminologie sagen: Die Begründung von Faktencheck-Teams sind Versuche, rein technische Antworten auf adaptive Herausforderungen zu formulieren und damit Handlungen zur Vermeidung adaptiver Arbeit. Mit dem eigentlichen Problem, dass sich einige Bevölkerungsgruppen neuen Plattformen zur Information zuwenden, dass durch Gesetzesinitiativen wie das NetzDG neue Zensurbefugnisse an die Privatwirtschaft ausgelagert werden – das wird durch Faktencheck-Teams nicht adressiert und nicht gelöst.

Faktencheck-Teams tun vor allem eins: Sie geben Medienhäusern das Gefühl etwas zu tun. Ohne dabei etwas zu tun.

Beispiel 4 - Subtile Verteufelung von Einzelpersonen getarnt als Journalismus

Etwas, woran für mich immer wieder deutlich wird, wie wenig einige Journalisten verstanden haben, dass man gegen Phänomene wie die AfD oder Trump nichts tun kann, indem man sie verteufelt, ist die Auswahl der Bilder. Zuletzt nach Gaulands Wahl zum Ko-Vorsitzenden der AfD Anfang Dezember wählte Spiegel Online natürlich ausgerechnet ein Foto des Politikers, auf dem ein Mikrofon einen charmanten Hitlerbart-Schatten auf Gaulands Oberlippe warf. Das ist wohlgemerkt kein Einzelfall. Zahlreiche Leitmedien – egal ob Fernsehen oder Zeitungen – wählen zum Beispiel auch vom aktuellen amerikanischen Präsidenten bevorzugt Bilder, auf denen er gerade die unmöglichsten und unsympathischsten Grimassen schneidet. Wäre das bei Obama passiert? Eher nicht.

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Zwischenfazit: Statt Anti-Leadership – wie macht man weiter?

Ich könnte schreiben, schreiben und schreiben – über „Adaptive Leadership“, über adaptive Herausforderungen und Leadership-Chancen in der Medienbranche. Da diese Blogreihe aber auch irgendwann einmal veröffentlicht werden muss (damit mir meine Kollegen nicht an die Gurgel springen, weil ich nicht liefere), möchte ich mal einen vorläufigen Schlusspunkt setzen und ggf. in zukünftigen Blogposts immer mal wieder auf das Konzept von Adaptive Leadership referenzieren. Denn – wie im Eingangs-Post erwähnt – Adaptive Leadership ist neben Merkurist eine meiner ausgeprägtesten Leidenschaften.

Doch noch einmal zurück zur Frage der Chancen für Leadership in Journalismus und Medienbranche: Wie im einleitenden Post und im Post "Die Logik von Lernen, Veränderung, adaptiver Arbeit - und Leadership. In und jenseits der Medienbranche" erläutert ist Leadership kein Status und keine Rolle, sondern eine Aktivität, die darauf abzielt, Systeme zum Lernen und zur Adaption angesichts adaptiver Herausforderungen zu bringen. Dabei geht es, wie hier beschrieben, in der Regel um ein Management von „Unruhe“ im System. Denn nur in einem Bereich produktiver Unruhe ist ein System – eine Branche, eine Organisation, ein Team oder sonstiges soziales System – dazu in der Lage, zu lernen.

Leadership heißt oft: Erhöhen der produktiven Unruhe im System

Oft heißt Leadership daher: Erhöhe die Unruhe im System, damit adaptive Arbeit im System erfolgen kann.

In manchen Fällen, wenn die Unruhe im System schon besonders hoch ist, kann es aber auch sein, dass Leadership bedeutet, die Unruhe zu reduzieren und aus der unproduktiven „Panikzone“ zurück in die produktive Unruhezone zu bewegen. Solches Leadership-Handeln steht zum Beispiel manchmal im Kontext vom Management absehbarer Verluste. Denn wie im Post "Zum Überleben von Journalismus und Medienbranche: Wie Überleben allgemein funktioniert" und im Post "Warum und wie wir Lernen und Veränderung vermeiden" erläutert bringen Veränderung und Adaption in der Regel Verluste mit sich. Und Verluste sind meistens schmerzhaft, denn der Mensch ist nicht für sie gemacht. Für erfolgreiches Lernen und erfolgreiche Adaption sind Verluste jedoch unabdinglich. Leadership heißt auch: Managen von Verlusten – für sich selbst und für andere

Wichtige Fragen, die sich all jene, die sich als Teil der Medienbranche empfinden, also stellen sollten, sind u. a. die folgenden:

  • Welche Aspekte der Digitalisierung in der Medienbranche empfinde ich als besonders frustrierend? Was genau ist so frustrierend an ihnen? Wer oder was verkörpert für mich die Frustration?
  • Welche Verluste fürchte ich möglicherweise im Zusammenhang damit? Was geht mir und was geht anderen voraussichtlich verloren?
  • Wie versuchen ich und andere bisher, diesen Verlusten aus dem Weg zu gehen? Formulieren wir „einfache Antworten“? Versuchen wir, „Placebos“ zu finden? Weiß ich aber vielleicht eigentlich, dass wir mit diesen einfachen Antworten und Placebos nie viel weiter als zum Punkt der nächsten Frustration kommen?
  • Wie stelle ich mich selbst den frustrierenden Entwicklungen? Wie kann ich anderen helfen, dies zu tun? Wie können wir uns gegenseitig helfen, uns mit Verlusten zu konfrontieren und uns mit ihnen anzufreunden? Welche Chancen liegen in den Veränderungen?

Diese Fragen können zumindest ein Einstieg in eine adaptive Diagnose und weitergehende persönliche Überlegungen sein, welche Form ein Mehr an Leadership in der Medienbranche für einen ganz persönlich annehmen könnte.

Vielleicht geben die Posts dem ein oder anderen einen spannenden Denkanstoß. So meine Hoffnung. Ich freue mich auf Feedback und auf weitergehende Diskussionen.

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